Burn-out: Wenn die Arbeit krank macht

Sind Führungskräfte besonders vom Burn-out betroffen? Wie erkenne ich, ob ein Kollege überlastet ist? Und wie kann ich vorbeugen? Fragen und Antworten zum Burn-out-Syndrom.


12.07.2017 - Julia Holzapfel -3 MinutenArbeitswelt gestalten

Sind Führungskräfte besonders vom Burn-out betroffen? Wie erkenne ich, ob ein Kollege überlastet ist? Und wie kann ich Burn-out vorbeugen? Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema Burn-out.

Burn-out FAQ

Was ist ein Burn-out?

Burn-out ist laut Weltgesundheitsorganisaiton keine Krankheit, sondern ein Problem der Lebensbewältigung. Betroffene können aufgrund von Überforderung nicht mehr abschalten, ihre Konzentrationsfähigkeit und Kreativität sinkt, sie verkraften Misserfolge schlechter und verlernen, sich im sozialen Umfeld, etwa bei Kollegen, Unterstützung zu holen. In der Folge treten Erkrankungszustände wie Depression, Sucht, Angststörungen oder Bluthochdruck auf

Wie entwickelt sich ein Burn-out?

Die Betroffenen versuchen anfangs ein leichtes Ungleichgewicht zwischen An- und Entspannung durch ein erhöhtes Engagement am Arbeitsplatz aufzufangen. Gleichzeitig vernachlässigen sie persönliche Bedürfnisse. Die zusätzlichen Stunden im Büro bringen aber nicht das gewünschte Ergebnis, weshalb sich die Betroffenen daraufhin entmutigt zurückziehen – und zwar in allen sozialen Bereichen. Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft verringern sich. Am Ende dieser Entwicklung bleibt ein Mensch mit Symptomen körperlicher und seelischer Erschöpfung zurück.

Wie verbreitet ist Burn-out?

Laut der Stressstudie 2016 der Techniker Krankenkasse (TK) fühlen sich 23 Prozent der Berufstätigen häufig gestresst, am häufigsten benennt die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen das Gefühl der Überforderung. Die Hauptgründe für den erlebten Stress: der Job und die Ansprüche, die Berufstätige an sich selbst stellen. In einer Studie der Unternehmensberatung Baumann sorgt sich die Hälfte der befragten Führungskräfte, im Lauf der Karriere einmal ein Burn-out-Syndrom zu erleiden. 20 Prozent haben sich mindestens einmal ausgebrannt gefühlt. Laut AOK-Fehlzeitenreport sind psychische Erkrankungen seit 2010 die häufigste Ursache für einen Krankenstand. Gleichzeitig verursachen sie die längsten Ausfallzeiten – im Durchschnitt 25,6 Tage pro Arbeitsunfähigkeitsfall.

Ist Burn-out eine Modeerscheinung?

In der TK-Stressstudie gaben drei Viertel der 50- bis 59-Jährigen an, dass das Leben früher weniger stressig gewesen sei. Laut Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin haben die psychischen Störungen aber nicht zugenommen. Im Unterschied zu früher würden die Symptome heute jedoch ernst genommen und behandelt. Die Bereitschaft der Betroffenen, sich Hilfe zu suchen sei höher. Dr. Volker Reinken, Ärztlicher Direktor der Akutklinik Urbachtal, die sich auf die Behandlung von Burn-out-Patienten spezialisiert hat, berichtet, dass unter seinen Patienten Frauen die Mehrheit bilden, unter anderem, da sie geneigter seien, sich therapeutische Unterstützung zu suchen. In der TK-Studie liegen Frauen und Männer beim Stressempfinden annähernd gleichauf.

Gibt es den Durchschnitts-Burn-out-Patienten?

„In erster Linie sind es Leistungsträger, aber nicht nur Top-Manager“, erklärt Mediziner Reinken. Beim Alter der Patienten in der Akutklinik Urbachtal liegt der Schwerpunkt im Bereich Mitte 40 bis Anfang 50. Überdurchschnittlich häufig sind Lehrer, Ärzte und Polizeibeamte unter den Betroffenen – Berufsgruppen die auch in internationalen Erhebungen zu jenen mit dem höchsten Burn-out-Risiko zählen.

Gibt es Charaktertypen, die zu einem Burn-out neigen?

Warum kommt der eine mit seiner Arbeitssituation gut zurecht, während sein Kollege an den Rand der Erschöpfung gelangt? „Menschen die ihrem inneren Antreiber, der sie zu Höchstleistungen motiviert, öfters ein ‚Chill mal’ entgegensetzen, können mit Stress besser umgehen. Sie erlauben sich selbst eine Pause“, sagt Dr. Volker Reinken. Ein offener und konstruktiver Umgang mit Konflikten, ein starkes Selbstwertgefühl, das sich nicht nur allein über die Arbeit definiert und die Fähigkeit, sich von der Arbeit zu distanzieren sind Persönlichkeitseigenschaften, die Menschen vor einem Burn-out schützen. „Auch Handlungsmuster, die man als Kind gelernt hat, haben darauf Einfluss“, ergänzt der Facharzt.

Ist hoher Krankenstand immer ein Warnzeichen?

„Früher lag der Fokus im Betrieblichen Gesundheitsmanagement auf der Länge des Krankenstandes. Heute weiß man, dass die eigentliche Wurzel des Burn-out im Präsentismus liegt, wenn Menschen krank zur Arbeit gehen“, sagt Burn-out-Experte Reinken. Menschen hielten viel zu lange durch, suchten zu spät Unterstützung und würden dann für längere Zeit krank. Möglicherweise dauert der Krankenstand so lange, dass die Stelle in der Zwischenzeit neu besetzt werden muss oder der Betroffene sucht so spät Hilfe, dass die Frühberentung erfolgt.

Arbeitgeber können aus der Krankenstandsstatistik nicht mehr den simplen Schluss „Hohe Fehlzeit – hohe Belastung“ ziehen, sondern müssen vielmehr auf Veränderungen im sozialen Verhalten und in der Arbeitsweise achten. Wer sich von Kollegen abkapselt oder häufiger als früher gereizt reagiert, braucht unter Umständen Unterstützung. Je nach Größe und Struktur des Unternehmens fehlen für diese aufmerksame Betrachtung der Arbeitnehmer jedoch die Ressourcen. Eine gute Möglichkeit – auch weil sie Burn-out vorbeugt – sind regelmäßige Vorträge und Coachings für die Mitarbeiter, um ein Bewusstsein für das Thema bei jeder einzelnen Person zu erzeugen.

Welche Alltagsmaßnahmen kann ich selbst zur Vorbeugung von Burn-out setzen?
  • Rituale: „Schaffen Sie sich tägliche Rituale, die den Übergang zwischen Arbeit und Privatleben markieren“, lautet ein Tipp vom Burn-out-Mediziner. Die Kleidung zu wechseln, nachdem man von der Arbeit nach Hause kommt, kann so ein Ritual sein.
  • Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatem: Wer sich offene Aufgaben mit nach Hause nimmt, sollte das Material keinesfalls zu sehr im privaten Bereich verteilen, sondern nach Möglichkeit an einem Schreibtisch lagern und dort bearbeiten. „Wie soll ich denn abschalten können, wenn ich auf dem Nachttisch noch Akten aus dem Büro liegen habe?“, definiert der Arzt das Problem.
  • Pausen: Während die Raucherpause in den meisten Unternehmen toleriert wird, klingt es für die meisten seltsam, wenn jemand während der Arbeitszeit einen kurzen Spaziergang unternimmt. Hier ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement mit klugen Ideen und Modellen gefordert. Übrigens: Wer am Arbeitstag mehrere kleine Pausen zum Ausruhen, Trinken und Essen macht, bleibt länger leistungsfähig als mit einer einzigen großen Pause.
  • Freiraum: „Freiräume für Mitarbeiter sind wie Wartungsintervalle bei Maschinen: Natürlich kostet die Wartung, aber ohne sie geht die Maschine kaputt“, beschreibt Reinken die Bedeutung wiederkehrender Freiräume. Dabei zählt weniger die Länge als die Regelmäßigkeit: Die meisten Menschen beginnen nach zwei Wochen Urlaub, sich gut zu erholen. Woche vier und fünf bringen da nicht unbedingt mehr.
  • Schlaf: Über 60 Prozent der Manager geben an, nicht ausreichend und gut schlafen zu können. Dabei ist Schlaf eine der wichtigsten Erholungsquellen für Körper und Geist.
  • Soziale Kontakte: Sport, Hobbies und private Kontakte erleichtern das Abschalten.
  • Ständige Erreichbarkeit: Laut einer Studie der Universität St. Gallen beugt der Verzicht auf das Diensthandy in der Freizeit Burn-out vor. Zwar gibt es verantwortungsvolle Positionen, wo das nicht möglich ist. Aber auch dort kann man klar abgrenzen, ab wann ein Problem groß genug ist, dass jemand auch in meiner Freizeit anrufen darf und ob es Möglichkeiten gibt, diese Verantwortung zwischen mehreren Personen aufzuteilen.
Sind Führungskräfte besonders betroffen?

Beim Thema Burn-out von Führungskräften sind laut Dr. Volker Reinken zwei Dinge auffällig: der Selbstwert und die Selbstüberschätzung der Leistungsfähigkeit. „Wenn es im oberen Management darum geht, bloß keine Schwäche zu zeigen, dann werden körperliche und seelische Signale häufig ignoriert“ meint der Chefarzt. Führungskräften fehle zudem oft die Fähigkeit ihre zentralen Aufgaben und jene Dinge, die man besser delegieren sollte, zu trennen. Er bringt das mit dem Selbstwert in Verbindung: „Ich bin dann in die Falle getappt, dass ich über alles mitbestimmen möchte, weil es mir zeigt, wie wichtig ich bin. Konzentriere ich mich auf die wahren Führungsaufgaben, zerren nicht alle an mir und ich kann ruhiger arbeiten.“ Außerdem sind nicht ausreichend Schlaf sowie zu wenig Zeit für private soziale Kontakte Faktoren, die ein Burn-out begünstigen.

Welche vorbeugenden Maßnahmen kann ich als Führungskraft ergreifen?

Am wirksamsten ist vermutlich das Vorleben einer gesunden Arbeitsweise. „Wenn ich als Chef gut mit mir umgehe, wird sich ein Teil meines Personals daran orientieren und sich selbst auch Freiräume schaffen“, sagt Reinken. Der AOK-Fehlzeitenreport 2016 hat ergeben, dass ein gutes Betriebsklima und eine wertschätzende Unternehmenskultur die Gesundheit fördern. Außerdem machen diese und andere Studien deutlich: Wer viel Autonomie in seinem Job erlebt, eigene Entscheidungen treffen kann und seine Arbeit nicht als fremdgesteuert wahrnimmt, hat ein niedrigeres Burn-out-Risiko. Ein Problem in Deutschland sind die häufigen Restrukturierungen: Laut AOK-Fehlzeitenreport rauben diese ein hohes Maß an psychischer Leistungsfähigkeit. Die moderne Burn-out-Prophylaxe legt zudem einen Fokus darauf, wie Konflikte gelöst werden. Eine Führungskraft, die zuhört und versucht, einen Mitarbeiter in einem Konflikt zu verstehen, tut eine Menge, um dessen Burn-out-Risiko gering zu halten.

Worauf kann ich beim Führungsstil achten?

Drei Punkte nennt Dr. Volker Reinken beim Zusammenhang zwischen guter Führung und der Vermeidung von Burn-out:

  1. Sinnhaftigkeit: Es geht um das frühzeitige Mitnehmen der Mitarbeiter bei Projektplanung und Veränderungsprozessen. Das Team muss von der Relevanz von Projekten überzeugt sein. Als zusätzliche Motivation für intensivere Projektphasen können finanzielle Anreize oder zusätzliche Freizeit dienen.
  2. Handhabbarkeit: Die transparente Darstellung der zur Verfügung stehenden Ressourcen ist wichtig. Gibt es für aufwändige Projekte zum Beispiel Unterstützung durch zusätzliches Personal? Welche Möglichkeiten bestehen, bestimmte Vorgänge anders zu terminieren? Wer als Vorgesetzter die Stärken seiner Mitarbeiter kennt, kann die Aufgaben entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten verteilen. Wer das machen darf, was er gut kann, aktiviert mehr Endorphine und beugt damit dem Burn-out vor. Gleichzeitig setzt die Führungskraft – ohne jegliche Mehrkosten – ihre personellen Ressourcen effektiver ein.
  3. Vorhersehbarkeit: Wer überfallartig den Raum betritt und Kommandos gibt, die eventuell am nächsten Tag schon wieder keine Geltung mehr haben, lässt frustrierte Mitarbeiter und schafft Widerstände. Realistische Termine vorzugeben und seine Ziele und Wünsche klar und respektvoll zu äußern, ist für einen entspannten und gesunden Arbeitsalltag wichtig.
Was gilt es beim Wiedereinstieg zu beachten?

In größeren Unternehmen ist das Wiedereingliederungsmanagement gut organisiert. Bei kleineren Betrieben oder erstmalig auftretenden Fällen empfiehlt Volker Reinken, sich in offenen Gesprächen gut mit dem betroffenen Arbeitnehmer abzustimmen. Zeit- und Aufgabenbereiche können reduziert werden. Wenn es Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen gibt, steht die Lösung dieser im Vordergrund, auch mit Hilfe von Coaches oder Maßnahmen zur Teamentwicklung. „Ist bereits zu viel Porzellan zerbrochen, dann sollte man auch über die Versetzung in eine andere Abteilung nachdenken“, empfiehlt Reinken.

Burn-out-Experte

Porträt Dr. Volker Reinken
© Jo Herrmann

Dr. med. Volker Reinken
ist ärztlicher Leiter der Akutklinik Urbachtal, die sich unter anderem auf die Behandlung von Menschen mit Burn-out-Syndrom spezialisiert hat. Der 52-Jährige ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.


Titelfoto: © Plainpicture